Self Publishing und eBook-Piraterie – Teil 1

August 2019. Kurz nach Mitternacht wird der neue Roman von Stefanie Ross bei Amazon für den Verkauf freigeschaltet. Was dann folgt, ist nicht ungewöhnlich, sondern die Regel. Die Autorin berichtet:

»Wolf – Der Anfang« wurde bereits morgens um 5:48 h hochgeladen und konnte somit quasi von der ersten Sekunde an illegal bezogen werden. Ich konnte zusehen, wie das Buch jede Minute mehrmals runtergeladen – aber kaum gekauft wurde. Und zwar keineswegs von Jägern und Sammlern, sondern von Menschen, die schon ungeduldig auf meine nächste Veröffentlichung gewartet haben, jedoch nicht bereit sind, den geringen Preis zu zahlen.

Was dieses »nicht bereit sein, zu zahlen« für die Autoren real bedeutet, darüber machen sich die Downloader genauso wenig Gedanken wie über die Tatsache, dass sie eine Straftat begehen. Wobei das Thema „illegales Downloaden“ immer mehr an die Öffentlichkeit dringt. So erschien im Zusammenhang mit dem Prozess gegen die Betreiber von lul.to in der SZ im Mai ein Interview mit Oberstaatsanwalt Thomas Goger (Cybercrime Bayern). Überschrift: "Niemand kann darauf hoffen, ungestraft davonzukommen«. Link zum Artikel HIER

Foto: Pixabay
Doch wie lässt sich der durch eBook-Piraterie entstandene Schaden eigentlich beziffern? Dazu als Erstes ein Blick hinter die Kulissen des Self Publishings:
Anders als bei traditionellen Verlagen, deren Kerngeschäft immer noch das Gedruckte ist, stammen über 95% der Einnahmen von selbstpublizierenden Autoren aus dem Verkauf von eBooks bzw. von den Tantiemen, die Amazon an die Autoren für das Ausleihprogramm »Kindle Unlimited« ausschüttet. Aufgeschlüsselt heißt das: eBooks, die unter 2,99€ kosten, werden mit 35% des VK-Preises vergütet, eBooks zwischen 2,99€ und 9,99€ mit 70%. Abgezogen vom Erlös werden einige Cent pro eBook, die sich Transferkosten nennen. Außerdem liegt die MwSt. derzeit bei 19%.
Bevor ein Autor, der ein qualitativ hochwertiges eBook auf den Markt bringen will, auch nur einen Cent verdient, sind erst mal einige Rechnungen zu bezahlen: Lektorat für einen durchschnittlich langen Roman oder ein erweitertes Korrektorat. Dazu ein gutes Cover und Marketingmaßnahmen. Da kommen sehr schnell 1.500€ oder auch weitaus mehr zusammen. Wobei die Arbeitsleistung des Autors und die normalen Abgaben (Sozialversicherungsbeiträge, Einkommenssteuer, Arbeitsmaterialien etc.) ja auch eine Rolle bei der Kalkulation spielen. Dass bei Freiberuflern solche netten Sachen wie Urlaubsgeld, Krankengeld oder Weihnachtsgeld nicht vorkommen, sollte bekannt sein. 
Viele Self Publisher wählen bewusst zu Verkaufsstart einen Schnäppchenpreis von 99 Cent. Das ist Teil ihres Marketingkonzepts, denn die ersten Tage nach der Veröffentlichung sind für den Erfolg eines Titels entscheidend. Wie viele eBooks bei einem Verkaufspreis von 99 Cent (der Autor bekommt 29 Cent) verkauft werden müssen, bis ein Self Publisher seine Investitionen drin hat, kann sich jeder selbst ausrechnen. 
Aber verursacht eBook-Piraterie wirklich einen so großen Schaden? 
Ja. Es gibt Studien, die beweisen, dass der Umsatz eines eBooks sehr deutlich einbricht, sobald es auf den üblichen illegalen Seiten auftaucht, und die außerdem das Märchen vom eBook-Sammler, der nie gekauft hätte, widerlegen. Downloader suchen gezielt nach Titeln und Downloader, die einen Titel haben wollen, bezahlten auch dafür, wenn er nicht illegal verfügbar ist. Hierzu sprach ich u.a. mit Andreas Kaspar (Counterfights Anti Piracy). 
MÇ: Ist es tatsächlich so, dass die Nutzer von illegalen Quellen die Titel nicht auf legalem Weg kaufen würden? Gibt es dafür Belege, dass Buchverkäufe durch eBook-Piraterie verloren gehen, und wenn ja, in welcher Höhe?
A. Kaspar: Unter den Nutzern dieser Portale befinden sich auch E-Book Leser, welche gezielt nach den gewünschten Titeln suchen, weil sie diese Werke zeitnah lesen möchten. Stehen diese gesuchten Titel für diese Nutzer nicht zum Herunterladen zur Verfügung, werden diese E-Books tatsächlich auch über die üblichen Onlineshops gekauft.
Anhand von Verkaufszahlen ausgewählter Titel konnten wir 2016 nachweisen, dass der Absatz der E-Books an genau den Tagen zwischen 30 bis 50 Prozent absank, als diese Titel in Piraterieportalen öffentlich zur Verfügung gestellt wurden. Konnten wir diese illegalen Angebote zeitnah entfernen lassen, stiegen die Verkäufe wieder an. Wenn wir für Neukunden die Pirateriebekämpfung bereits erschienener belletristischer Titel umsetzten, konnten unsere Kunden ebenfalls häufig feststellen, dass sich der Absatz der E-Book Titel in den folgenden Wochen um 20 bis 30 Prozent erhöhte. Diese 30 Prozent an potentiell kaufwilligen E-Book Lesern haben auch die EU-Studie zu „Raubkopien“ von 2015 und die Nielsen Studie von 2017 aufgezeigt. Die verbreitete Meinung, dass in diesen Piraterieportalen „eh keine Käufer sind“, ist damit widerlegt.
Gerade die ersten zwei Wochen nach einer Veröffentlichung sind in der Regel die verkaufsstärksten Tage für die Rechteinhaber. Wenn in dieser Zeit die illegalen Angebote ohne Gegenwehr kostenlos zur Verfügung stehen, verlieren die Autoren und Verlage definitiv zahlende Käufer. Bei einem schnellen und einfachen Herunterladen der E-Books aus Piraterieportalen wird bei den E-Book Lesern nicht hinterfragt, ob das „kostenlose“ Angebot auch ein legales Angebot ist.
MÇ: Wo beziehen die Uploader ihre eBooks und welche Titel werden bevorzugt – von Verlagen oder Self Publishern?
A. Kaspar: Nach unserer Einschätzung dient derzeit Amazon als Hauptquelle für die E-Book Kopien. In vielen Fällen werden die Werke nur wenige Stunden bis Tage, nachdem sie bei Amazon freigeschaltet wurden, von den Tätern dort eingekauft oder die E-Books mutmaßlich über Kindle Unlimited ausgeliehen. Oft können wir zudem feststellen, dass vor allem E-Books mit niedrigen Preisen häufiger und schneller in Piraterieportalen eingestellt werden als E-Books im mittleren Preissegment oder hochpreisige Werke. Das kann unter anderem daran liegen, dass sich die günstigeren E-Book Titel der Selfpublisher mit 1 bis 3 Euro über die anteiligen Vergütungen der Downloadanbieter schneller refinanzieren lassen als E-Book Titel der Verlage mit einem Preis zwischen 8 und 12 Euro oder mehr. Vermutlich liegen auch die subjektiven Schranken der Täter bei den geringpreisigen Werken niedriger: „Hat ja nur ein Euro gekostet, tut dem Autor ja nicht weh“. Auch Titel, die zusätzlich über Kindle Unlimited bereitgestellt werden, sind nach unserer Einschätzung schneller in den Piraterieportalen zu finden als reine Kaufangebote.
Wundert es da noch, dass inzwischen immer mehr Self Publisher das Handtuch werfen? 
Seien wir doch mal ehrlich, schreiben macht zwar großen Spaß, wenn es gut läuft, aber es ist trotzdem ein Knochenjob – und das meine ich nicht nur im übertragenen Sinn. Wenn man dann auch noch draufzahlt, weil sich Straftäter an der kreativen Leistung bereichern, dann fragt man sich zwangsläufig irgendwann »wozu mache ich das eigentlich?«
Laut einer Berechnung der Künstlersozialkasse aus dem Jahr 2011 beträgt das Durchschnittseinkommen von Autoren 1.200 € Brutto im Monat, und in diese Erhebung fließen natürlich die Einnahmen von Bestseller-Autoren. Self Publisher sind hier noch nicht erfasst, es handelt sich um Verlagsautoren, bei denen die o.g. Kosten wegfallen. Ich denke, jeder kann sich an fünf Fingern abzählen, was 30% plus hier bewirken können.

In einer kürzlich erfolgten Studie von Counterfights wurde berechnet, wie viele illegale Downloads auf einem der bekanntesten Piraterie-Foren auf die Bedankungen der Nutzer kommen. (Die Studie wurde noch nicht veröffentlicht, ich werde den Link dann später nachliefern). Doch nun die Zahlen: Hinter einer Bedankung stehen im Mittelwert vier Downloads (man schätzt hier perfiderweise die »Arbeitsleistung« eines Uploaders höher ein als die des Autors). Bei gesuchten Titeln liegt die Zahl der Downloads im Vergleich zu den Bedankungen wesentlich höher. Stefanie Ross hat bei ihren Titeln Bedankungen im Verhältnis von 1:10 bis 1:20 beobachtet. Bei  mindestens 800 illegalen Downloads von nur einer der vielen Piratenseiten, ist ihr ein Verlust von €600,00* entstanden und zudem wichtige Sichtbarkeit im Amazon-Salesrank, die zu mehr Verkäufen und Leihvorgängen geführt hätte. Dreihundert Verkäufe mehr bedeuten z.B. den Einzug in Top 50 aller Kindle-Titel! *Verkaufspreis €3,99, Tantiemen pro Verkauf €2,30. 

Stichwort »Arbeitsleistung«. Diese edlen Robin Hoods des digitalen Zeitalters verdienen nicht schlecht an der Arbeit anderer. Ganz recht: Schwarzgeld und natürlich steuerfrei. Nachzulesen HIER

Wie gehen nun Autoren damit um, wenn das eigene Werk illegal angeboten wird, und was sollte man besser nicht tun? 
Leider ist es so, dass bei etlichen Autoren eine Art Verdrängungsmechanismus eingesetzt hat. Wenig hilfreich, um die Situation zu verbessern, aber verständlich. Wer mag es schon, beklaut zu werden? Andere betroffene Autoren kommentieren in den einschlägigen Foren und versuchen, die Täter zu bekehren. Dafür werden sie in schöner Regelmäßigkeit von den Straftätern verspottet.
Es bleibt also nur ein sinnvoller Weg: Die Verfügbarkeit der illegalen eBooks zu stoppen und den Gesetzgeber dazu zu drängen, die vorhanden Gesetze zum Schutz des Urheberrechts auch zur Anwendung zu bringen. 
Zum Glück gibt es unter den Self Publishern viele Autoren, die sich wehren. Über die Möglichkeiten und Vorgehensweisen sprach ich mit Autoren-Kollegen sowie mit Andreas Kaspar (Counterfights Anti-Piracy), Andreas Kemerle (fifthfreedom GmbH) und Volker Rieck (File Defense). Dazu mehr dann in der nächsten Folge. 

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